Von Gabriele Loges (Schwäbische Zeitung, 29.06.2016, 15)
Stadt und Schloss sollen deutsch-französischer Erinnerungsort werden
SIGMARINGEN – Studenten des Masterstudiengangs Kulturmanagement an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg sind zu einem Recherche-Wochenende nach Sigmaringen gekommen. Sowohl im Schloss bei einem Gespräch mit Karl Friedrich von Hohenzollern und einer kurzen „Vichy-Führung“, als auch bei einem Stadtrundgang mit Otto Becker, bei dem besonders die für die „französischen Gäste“ okkupierten Gebäude im Fokus standen, lernten sie die Gegebenheiten vor Ort kennen.
„Sigmaringen als Erinnerungsort der deutsch-französischen Beziehungen“ heißt das Projekt, das Professor Dr. Clemens Klünemann mit seinen Studenten realisieren möchte. Der französische Historiker Pierre Nora hat mit seinem Werk „Erinnerungsorte“ viele solcher „lieux de mémoire“ beschrieben und die Idee sehr erfolgreich in andere Länder getragen. Für Nora sind solche Orte Erkennungszeichen und Merkmale der Gruppenzugehörigkeit und somit identitätsstiftend.
Für Klünemann, der sich wissenschaftlich mit der Geschichte Frankreichs und der Geistes- und Kulturgeschichte der Weltkriege auseinandersetzt, ist „Sigmaringen zweifellos ein solcher deutsch-französischer Erinnerungsort“. Denn die engen Beziehungen beider Länder lassen sich hier auf relativ kleinem Raum fassen. Im Gespräch mit Karl Friedrich von Hohenzollern stellte Klünemann das Projekt vor, und die Studenten konnten Fragen stellen. Der Vater des jetzigen Fürsten hat ihm von dieser Zeit berichtet: „Er war nie wertend, erzählte immer so, wie er es erlebt hat.“ Was tatsächlich geschehen ist, warum gerade Sigmaringen als „Rückzugsort“ für die Vichy-Regierung von Hitler-Deutschland bestimmt wurde, kann (bisher) durch keine erhaltene Quelle bestätigt werden.
Das Schloss und Sigmaringen bilden für Frankreich meist eine Einheit. Célines bekannter Roman „Von einem Schloss zum anderen“ von 1957 ist möglicherweise ein Grund dafür. Ein Zeichen ist auch das Titelbild von Pierre Assoulines neuem Roman: Sigmaringen lautet der Titel, abgebildet ist das Schloss. Der Fürst betonte: „Wir würden uns wünschen, dass die Stadt mehr auf diese Beziehung eingeht, dass das Schloss im Kontext der Stadt eine Rolle spielt.“ Bei dieser Verknüpfung wollten sie mit ihrem Projekt, so Klünemann, helfen. Denn auch die breite Bevölkerung in Frankreich und Deutschland solle etwas über diese Zeit erfahren. Das Thema Kollaboration ist jedoch vor allem für die Franzosen kein einfaches. Für Klünemann ist es wichtig, dass das Schloss nicht als „Spukschloss“, als irreal und längst Vergangenes im Gedächtnis „entsorgt“ wird, sondern auf die reale Geschichte verweist. Fürst Karl Friedrich erzählte, man habe zugestimmt, dass der französische Filmemacher Serge Moati demnächst einen Dokumentarfilm vor Ort dreht.
Birgit Meyenberg führte die Studentengruppe durch die Räume, in denen sich Pétain und Laval aufgehalten haben. 80 Franzosen wohnten 1944/45 im Schloss, rund 2000 in der Stadt bei 5600 Einwohnern. Archivar im Ruhestand und bester Kenner der Vichy-Zeit in Sigmaringen, Otto Becker, begann seine Stadtführung vor dem Schloss: „Hier wurde am 1. Oktober die Trikolore gehisst“. In der Kirche saß Pétain in der Fürstenloge, die 11-Uhr-Messe am Sonntag hielten französische Geistliche. Der Kirchgang stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl zur Bevölkerung.
„Gäste“ von Gestapo bewacht
Die Zwangsarbeiter durften übrigens die Messe nicht besuchen. Überdies wurden, so Becker, die Vichy-Leute von der Gestapo streng bewacht. Weiter ging es zum Gasthaus „Zum alten Fritz“, zur denkmalgeschützten Villa, in welcher Céline praktizierte, zur Karlstraße mit der „Deutschen Botschaft“, zum Staatsarchiv, dem Regierungsgebäude der Franzosen und dem Gasthaus „Löwen“, wo neben Céline auch Karl Bömelburg, Gestapochef der Vichy-Regierung, untergebracht waren.
Am nächsten Tag erhielten die Studenten eine Führung von Franz Schenk Freiherr von Stauffenberg im Schloss Wilflingen. Hier wohnte Pierre Laval zwei Monate. Danach besuchten sie das ehemalige Forsthaus des Schlosses. Dort trafen sich Kohl und Mitterrand bei Ernst Jünger, ein weiterer Erinnerungsort der deutsch-französischen Geschichte.