Ungewöhnliche Bedeutung erhielt die Kleinstadt mit damals rund 5000 Einwohnern, die als ehemalige Residenzstadt über die angemessenen Gebäude und Räumlichkeiten verfügte, durch den Aufenthalt der Vichy-Regierung von September 1944 bis April 1945: Nach der Befreiung von Paris am 25. August 1944 war von Außenminister Joachim von Ribbentrop befohlen worden, die Kollaborationsregierung von Vichy nach Sigmaringen zu bringen. Die fürstliche Familie musste das Schloss verlassen. Philippe Pétain und seine Minister wurden im Schloss einquartiert und gut verpflegt. Ein Teil der Regierungsmitglieder, unter ihnen Pétain, verweigerte die Regierungsgeschäfte, der andere Teil arbeitete weiter mit den Nationalsozialisten zusammen. Ihr Aufenthaltsort zog zahlreiche französische Zivilisten an, die als Kollaborateure Vergeltung fürchteten. Die Stadt wuchs um mehr als ein Drittel. Einen Tag bevor die Einheiten von General Jean de Lattre de Tassigny am 22. April 1945 in Sigmaringen einmarschierten, hatten sowohl die Vichy-Regierung als auch die aus Frankreich Geflohenen die Stadt verlassen. Sigmaringen wurde Teil der französischen Besatzungszone. Nach einer ersten schwierigen Zeit für die Bevölkerung ermöglichte eine Förderung von Kunst und Kultur nach zwölf Jahren Diktatur die erneuten Anfänge einer deutsch-französischen Verständigung. 1952 wurde das Bundesland Baden-Württemberg gegründet.

Für beide Länder ist diese letzte Zeit eine schwere Hypothek ihrer gemeinsamen Geschichte. Vielleicht ist sie gerade deshalb außerhalb der Geschichtsschreibung in Deutschland und Frankreich wenig bekannt. Dabei ist Sigmaringen – wie Verdun, Reims, aber auch Aachen und Versailles – ein deutsch-französischer Erinnerungsort im Sinne von Pierre Nora und Etienne François. Hier zeigen sich die Vorgeschichte und die Spannungen der deutsch-französischen Beziehungen, die der Élysée-Vertrag von 1963 zu lösen versuchte. Die unterschiedlichen Sichtweisen und Einbindungen in die jeweilige Geschichtsbetrachtung ermöglicht 75 Jahre nach dieser ‚Zuspitzung‘ eine Grundlage für eine offene Diskussion, die der gemeinsamen friedvollen Zukunft und dem europäischen Gedanken verpflichtet ist.